Ich bin am Sonntag nach Kreuzlingen gegangen. Die Stadt hat für mich eine besondere Bedeutung, weil sie sowohl gute als auch unangenehme Erinnerungen für mich bereithält. Als ich 2014 in die Schweiz kam, betrat ich das erste Mal Kreuzlingen. Gestern habe ich beobachtet, dass viele Dinge in der Stadt noch immer ähnlich sind wie vor sechs Jahren – Strassen, Bahnhof, Geschäfte, See, aber auch das Empfangszentrum, in dem ich damals etwa 40 Tage verbracht habe. Eine Ausnahme bildet jedoch die Grenze zwischen Deutschland und der Schweiz.
Diese Grenze fesselte meine Aufmerksamkeit. Ein langer Zaun, an dem Menschen auf ihre geliebten Menschen warteten. Ich bin an dem Zaun entlanggegangen und habe beobachtet, wie Menschen mit ihren Freunden, Familien, Partnern und Kindern mit einem Abstand von 2 Metern hinter dem Zaun miteinander sprachen, tranken und spielten. Nach dem Zweiten Weltkrieg hat es in der Schweiz noch nie eine Situation gegeben, in der eine Grenzsperre notwendig war, wie ich gehört habe.
Der Bund hat den Entscheid getroffen, die Bevölkerung in der Schweiz zu schützen, was als selbstverständlich als Priorität einer Regierung angesehen wird. Allerdings, wenn es keine drängende Situation wie die heutige gäbe, würden die Behörden nicht erlauben, Familien, Paare oder Kinder voneinander durch einen Zaun zu trennen. Jeder Mensch hat das Recht auf Zusammenleben und Liebe.
Als ich die Plakate und Slogans der Menschen an der Grenze sah, dachte ich sofort an Geflüchtete, die keine Rechte auf Familienbesuch, Familiennachzug oder Reisebewilligung haben. Diese Menschen haben möglicherweise auf ihrer Flucht Familienmitglieder verloren und sind nun gezwungen, jahrelang von ihren Ehepartnern, Kindern, kranken Müttern oder Schwestern getrennt zu sein.
Ich verstehe die Menschen, die an der Grenze auf ihre Geliebten gewartet haben, sehr gut, da ich selbst Familienmitglieder habe, die lange Zeit wegen eines Papiers nicht treffen durften. Ich hoffe von Herzen, dass diese Menschen wieder zu ihren Familien und Freunden zurückkehren können, nachdem die Grenze geöffnet wurde.
Es ist jedoch zu bedenken, dass trotz der Öffnung der Grenze unmenschliche Meinungen einiger Politiker gegenüber Geflüchteten bestehen bleiben könnten, die sie als Menschen unterscheiden und für die Schwächsten der Gesellschaft eingeschränkte Gesetze erlassen. Eine Reisebewilligung und der Familiennachzug sind jedoch Grundrechte jedes Menschen.