Nach der Machtübernahme der Taliban in Afghanistan im Jahr 2021 sind die afghanischen Vertretungen im Ausland nicht mehr in der Lage, Pässe für Afghaninnen und Afghanen auszustellen. Nur wer bereits einen afghanischen Pass besitzt, kann ihn in den afghanischen Botschaften, die von ehemaligen Regierungsbeamten geleitet werden, verlängern lassen. Afghanische Staatsangehörige ohne Pass, können sich weder von den afghanischen Vertretungen noch vom SEM einen Pass ausstellen lassen.
Hunderte von Afghanen:innen bemühen sich darum, vom SEM Reisedokumente zu bekommen, um ins Ausland reisen zu können. Die Schweizer Migrationsbehörden übernehmen in dieser Hinsicht keine Verantwortung.
In erster Linie betrifft es die einst vorläufig Aufgenommenen, die ihren Ausweis bereits in einen B-Ausweis umgewandelt haben. Obwohl die betreffenden Personen eine gültige Aufenthaltsbewilligung (B) besitzen, sind sie weiterhin an die Einschränkungen gebunden, die mit der F-Bewilligung für Auslandreisen verbunden sind. Diese Einschränkungen beziehen sich insbesondere auf Reisehindernisse aufgrund eines fehlenden Reisepasses. Wie die Schweizer Behörden und auch die Gesellschaft erwarten, haben sich die afghanischen Geflüchteten gut integriert, die Landessprache gelernt, eine Ausbildung gemacht und arbeiten und können nun unabhängig von der Sozialhilfe leben bzw. ihren Lebensunterhalt selbst bestreiten. Es ist unangebracht und unverhältnismäßig, dass ihre Reise aufgrund eines fehlenden Passes blockiert wird. Sie haben eine legale Aufenthaltsbewilligung mit der gemäss Asylgesetzt das Reisen erlaubt ist.
Andererseits betrifft es auch Geflüchtete, die bereits unabhängig von der Sozialhilfe leben und ihren F-Status in eine B-Bewilligung umwandeln wollen. Für diesen Schritt wird von ihnen meist ein Reisepass verlangt, den sie unmöglich erlangen können. Das zwingt sie jahrelang mit den Einschränkungen zu leben und nicht reisen zu können. Es ist äusserst diskriminierend.
Die Aussicht, dass die Taliban von der Welt anerkannt werden und die afghanischen Botschaften wieder Pässe ausstellen können, liegt in weiter Ferne und ist ungewiss. Daher ist eine schnelle Zwischenlösung seitens des SEMs für diese Geflüchteten-Gruppe dringend erforderlich.
Hier einige Beispiele, die wir von den Betroffenen schriftlich zugeschickt bekommen haben:
R. Karimi lebte sechs Jahren als vorläufig Aufgenommener in der Schweiz und schliesslich hat er vor ein paar Monaten seinen B-Ausweis bekommen. Er hat eine Ausbildung absolviert und ist berufstätig. Unabhängig von der Sozialhilfe hoffte er schliesslich reisen und seine Familie besuchen zu können. Sein Kanton verlange von ihm einen Reisepass, den er nicht besitzt. Die afghanische Botschaft stelle eine Bestätigung aus, dass sie keinen afghanischen Pass ausstellen könne. Das SEM teile mit: „Kein Reisedokument für Afghanen“. Niemand übernehme die Verantwortung für seine schwierige Situation, sagt er.
H. Gholami schreibt uns, dass er seit sieben Jahren in der Schweiz lebt, seit zwei Jahren und vier Monaten arbeitet und keine Unterstützung von den Sozialdiensten erhält. Er habe ein Gesuch für einen Härtefall einer B-Bewilligung mit allen erforderlichen Unterlagen eingereicht. Sein Antrag sei aber vom Kanton Wallis abgelehnt worden. Der Grund dafür ist, dass er keinen afghanischen Pass besitzt. Er wünschte sich, nach sieben Jahren Trennung endlich seine Frau und Kinder besuchen zu können.
R. Shahed erzählt, dass sie im Sommer 2022 ihre kranke Mutter im Iran besuchen musste. Ihr 5-jähriger Sohn, der in der Schweiz geboren wurde, habe keinen afghanischen Pass und der Einwohnerdienst der Stadt Bern weigerte sich ihrem Sohn ein Reisedokument auszustellen. Sie musste ihren kleinen Sohn in der Schweiz zurücklassen und allein in den Iran reisen. Sie sagt, dass diese Trennung ihren Sohn emotional stark belastet habe. Sie könne nicht verstehen, warum die Schweiz keine Lösung für solche dringende Situationen findet und auch kein Verständnis für das Kindeswohl und die Kinderrechte habe.
Laut den Informationen, die wir von Graubünden und Wallis erhalten haben, ist der Härtefall Antrag (Wechseln von F zu B) ohne einen afghanischen Pass nicht möglich.
Falls die Schweizer Behörden behaupten, dass die Ausstellung eines afghanischen Passes immer noch möglich sei, geht es aktuell womöglich um diese zwei Möglichkeiten:
– Der Pass sollte in Afghanistan unter der Taliban-geführten Regierung persönlich ausgestellt werden. (Laut der Medien in Afghanistan wurde die Erteilung der afghanischen Pässe seit Oktober 2022 eingestellt. Dennoch ist es für Flüchtlinge nicht zumutbar, nach Afghanistan zu reisen, um einen Reisepass zu erhalten.)
– Nach Angaben der afghanischen Gemeinschaft in Iran, Afghanistan und Pakistan wird der afghanische Pass auf dem Schwarzmarkt für 2.500 bis 4.000 CHF verkauft. Dabei handelt es sich um ein illegales Dokument ohne biometrische Daten, welche schon von Schweizerischen Vertretungen akzeptiert werden.
Einem Gesuchsteller schreibt das SEM am 13. September 2022:
Es ist Ihnen möglich und zumutbar, sich bei den zuständigen Behörden ihres Heimatstaates in der Schweiz um die Ausstellung eines heimatlichen Reisepasses zu bemühen. Allenfalls haben Sie vorgängig die notwendigen Identitätspapiere über eine Drittperson oder einen Rechtsvertreter zu beschaffen.
Uns ist bewusst, dass aufgrund der aktuellen Lage in Afghanistan die Beschaffung heimatlicher Dokumente erschwert wird. Technisch oder organisatorisch bedingte Verzögerungen bei der Passausstellung begründen die Schriftlosigkeit nicht.
Der Brief des SEM enthält zwei problematische Punkte, aufgrund dessen die Forderung der Behörde nicht erfüllt werden kann:
1- Die afghanische Botschaft in der Schweiz bestätigt täglich, dass sie bis auf weiteres keinen afghanischen Pass ausstellen kann.
2- Die afghanische Identitätskarte (Tazkera) konnte damals ohne biometrische Daten von einer dritten Person in Afghanistan ausgestellt werden. Für einen ordnungsgemässen, gültigen afghanischen Pass sind biometrische Daten wie z.B Fingerabdrücke erforderlich. Diese können nicht von Dritten beschafft werden. Es sei denn, die Schweiz erwartet gefälschte Pässe, die auf dem Schwarzmarkt verkauft und ausgestellt werden.
Gemäss der Verordnung über die Ausstellung von Reisedokumenten für ausländische Personen (RDV) sind die afghanischen Flüchtlinge in der Schweiz schriftenlos. Am Ende dieser Seite habe ich Ihnen die entsprechende Verordnung angehängt.
Wir bitten die Migrationsbehörden aufrichtig dieses Problem politisch zu thematisieren und eine Zwischenlösung für die afghanischen Bürger, die in die Schweiz geflüchtet sind, zu bewirken. Ein temporäres Reisedokument würde vielen Geflüchteten helfen ihre Familien und Freunde in Europa und in den Drittstaaten zu besuchen. Das ist auch ihr Menschenrecht. Gemäss des Art. 6 Grundgesetz (1) stehen Ehe und Familie unter dem besonderen Schutze der staatlichen Ordnung. Und laut Art. 13 der Bundesverfassung dürfen Familiären Beziehungen keine Hindernisse in den Weg gestellt werden.
Hochachtungsvoll
Mortaza Shahed
Salam Swiss.
Gesetzliche Grundlage:
143.5
Verordnung
über die Ausstellung von Reisedokumenten
für ausländische Personen (RDV)
Art. 10 Schriftenlosigkeit
https://www.fedlex.admin.ch/eli/cc/2012/713/de
Als schriftenlos im Sinne dieser Verordnung gilt eine ausländische Person, die keine gültigen Reisedokumente ihres Heimat- oder Herkunftsstaates besitzt, und: von der nicht verlangt werden kann, dass sie sich bei den zuständigen Behörden ihres Heimat- oder Herkunftsstaates um die Ausstellung oder Verlängerung eines Reisedokuments bemüht; oder für welche die Beschaffung von Reisedokumenten unmöglich ist.
Art. 417 Pass für eine ausländische Person
https://www.fedlex.admin.ch/eli/cc/2012/713/de
Ein Pass für eine ausländische Person kann abgegeben werden:
a.
einer schriftenlosen ausländischen Person mit Aufenthaltsbewilligung oder mit einer nach Artikel 17 Absatz 1 der Gaststaatverordnung vom 7. Dezember 200718 erteilten Legitimationskarte;
a.
von der nicht verlangt werden kann, dass sie sich bei den zuständigen Behörden ihres Heimat- oder Herkunftsstaates um die Ausstellung oder Verlängerung eines Reisedokuments bemüht; oder
b.
für welche die Beschaffung von Reisedokumenten unmöglich ist.
Hallo aus Solothurn, ich habe B ausweis seit 8 Jahre bin in der Schweiz. ich habe paar mal gesucht für Ersatz Pass abgelehnt wurde von Bern. Ich weiss nicht wie lang noch ich warte muss, meine Familie habe seit 13 Jahre nicht gesehen, ich mich in der Schweiz wie ein Gefängnis finde.
Ich bin seit 2016 in der Schweiz, habe den B-Ausweis und benötige keine Sozialhilfe. Ich habe meine Eltern seit 7 Jahren nicht mehr gesehen und möchte sie wirklich gerne besuchen.
Hallo
Ich bin R.Sharifi aus Kanton Bern. Ich bin seit fünf Jahren in der Schweiz und ich mache mein zweiten Ausbildung. Ich bin seit drei und halb Jahre ganz selbstständig.
Ich habe das gleiche Probleme. Meine Eltern sind im Iran und meine Mutter ist schwer Krank seit mehreren Jahren.
Ich habe ein Antrag bei SEM gemacht und es wurde zwei mal abgelenkt.
Ich hatte Arztzeugnis und alle Beweise dafür.
Ich habe seit 8 Jahren mein Eltern nicht besucht und das macht mir verrückt und ich bin deshalb im Stress.
Ich weiss es nicht, wie lange wir noch warten auf eine klare Antwort von SEM.
Auf Menschenwürdigkeit…
Danke
Ich habe trotzdem ein abgelaufene Pass, den bereits weder für die Verlängerung noch ein neues Pass nutzlich ist. Da Situationen zwischen die Schweiz und afghanischen Botschaft nicht verständlich sind, fördere ich eine bessere Lösung von ihnen. 8 Jahre bin ich in der Schweiz und kann nicht einmal meine Familie im Iran besuchen. Was ist hier falsch?
„Bagher Ahmadi“